… Wald schreiben, 14. März 2022

Am Montag nach unserer Wochenend-Pflanzaktion fanden sich ein Bäckersdutzend Dichtende in der Bibliothek des Hauses für Poesie zusammen, um die Tradition der Waldlyrik zu reflektieren und die aus dem Wald mitgebrachten Eindrücke, Kenntnisse und Gegenstände in Lyrik zu verwandeln. Wir haben den Begriff der „nature writing“ erörtert und Grundsatzfragen angesprochen: Was ist das überhaupt, „nature“? Wie kann man schreibend die Brüche nachzeichnen, die sich in der Natur selbst, aber auch in unserem althergebrachten Naturbegriff auftun?

In diesem Sinne führte die Werkstattleiterin Birgit Kreipe einen „poetry film“ vor, der ein Gedicht von Ulrike Draesner mit filmischen Mitteln umsetzt: Text, Bild und Stimme fallen zusammen und versinnbildlichen das Schwinden der biologischen Vielfalt, das die Zusammenhänge des Waldes allmählich auflöst und eine unheimliche Sinnleere hinterlässt.

 

Im praktischen Teil der Werkstatt ging es darum, Sinn und Zusammenhänge neu herzustellen. Mit praktischen Übungen bot Birgit verschiedene Denkanstöße an, wie man sich dem „Waldstoff“ nähern und ihn gestalten kann. Zum Beispiel, indem man eine Handvoll Gedichtschnipsel (von Goethe bis Louise Glück) zu einem neuen Waldgedicht umsortiert. Oder sich fragt, was ein mitgebrachter Zweig oder Tannenzapfen erzählt – nach dem Motto „In ganz kleinen Dingen und Gegenständen sind oft große Bilder verborgen.“

Diese verspielten und nachdenklichen Experimente entlockten lyrische Einfälle selbst bei poetisch Unerfahrenen. Und Ihr könnt sie auch zu Hause ausprobieren!

Zunächst ein kleines WARM-UP:

Du hast hier Papierstreifen, auf denen Gedichtzeilen stehen. Nimm Dir maximal 12 von den Zeilen und bastele eine Art „Gedicht“ daraus. Probiere verschiedene Konstellationen aus. Wichtig: Bitte greife einfach in den Haufen, lies möglichst nicht vorher.

SCHREIBÜBUNG: GEDICHT ODER KURZES PROSAGEDICHT

Anregungen

A) Im Reader hast Du eine Sammlung ganz unterschiedlicher Texte zum Thema „Wald“ gelesen. Überlege einmal: Was ist für Dich in Bezug auf den Wald besonders bedeutsam? Was für eine Bedeutung hat der Wald für Dich, z.B. lebensgeschichtlich, als mythischer Raum, oder politisch? Erinnere Dich an einen Ausflug. Notiere spontane Bilder und Gedanken … freier Text!

B) Was erzählen ganz kleine Gegenstände wie Nüsse, Tannenzapfen, Moose oder Holzstücke über den Wald und die Welt? Lass Deinen Assoziationen freien Lauf, frei nach Gaston Bachelard: In ganz kleinen Dingen und Gegenständen sind oft große Bilder verborgen. Notiere Deine Assoziationen und forme sie zu einem poetischen Text.

C) Louise Glück hat es vorgemacht: In ihren beiden Gedichten („Waldlilie“ und „Wilde Iris“, beide im Reader) fangen die Blumen und Pflanzen zu sprechen an, werden zu Mischwesen mit einer ganz eigenen Perspektive. Welcher Pflanze, welchem Baum, welchem Blatt könntest Du eine Stimme verleihen? Versuche es einmal für einen Text!

D) Im Gegensatz zu früheren Zeiten haben wir alle möglichen Schichten an Allgemeinwissen, Poesie, Mythologie, ökologischer und botanischer Forschung, die wir im Nu recherchieren können. Entsprechend kann man z. B. die archetypischen Bedeutungen von „Wald“ als auch die Forstwirtschaftsrichtlinien (s.u.) als auch die neuesten biologischen Erkenntnisse mit romantischen Bildern vom Wald verknüpfen. Versuche einmal, ganz unterschiedliche und gegensätzliche Aspekte für Deinen Text in Stellung zu bringen.

Material zu D:

Beispiel Umweltbundesamt

Der vergleichsweise hohe Holzeinschlag im Jahr 2019 kann unter anderem auf eine Zwangsnutzung wegen Sturm, Trockenheit und vermehrten Insektenbefall zurückgeführt werden, der Schadholzanteil lag in diesem Jahr bei rund 67 % oder 42,6 Mio. m³ . Dabei ist besonders auffällig, dass der durch Insekten bedingte Schadholzanteil in 2018 und 2019 im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen hat und im Jahr 2019 die Hauptursache darstellt (siehe Abb. „Durch Schäden bedingter Holzeinschlag“). Dies ist im Wesentlichen durch die Hitze sowie Trockenheit der Jahre 2018 und 2019 und der damit einhergehenden Anfälligkeit bestimmter Baumarten für Schädlinge wie etwa den Borkenkäfer bedingt.
(Quelle: Umweltbundesamt)

Verjüngung und Kulturpflege (Höhenbereich bis 1,50 m). Eichenverjüngung sollte möglichst unter Schirm oder nach kleinen Lochhieben erfolgen. Auf größeren Freiflächen leidet sie häufig unter der Wirkung von Spätfrösten und einer kräftig entwickelten Bodenvegetation. In der Anwuchsphase haben junge Eichen eine hohe Schattentoleranz, die jedoch sehr schnell abnimmt. Auf trockenen und ärmeren Standorten haben die Jungpflanzen einen höheren Lichtbedarf. Nach Etablierung der Verjüngung müssen angepasste Lichtverhältnisse geschaffen werden. Zu langer Dunkelstand führt zu Wuchsdeformationen und Vitalitätsverlusten. Da die Eiche im Vergleich zu anderen Baumarten überdurchschnittlich durch Wildverbiss gefährdet ist, sind für eine erfolgreiche Verjüngung angepasste Wildbestände unabdingbar.“

(Quelle: Waldbaurichtlinie für das Land Brandenburg: Eiche)

Wald pflanzen, 12. März 2022 …

Endlich sind wir wieder zum Pflanzen bekommen! Aber wer hätte noch vor wenigen Wochen gedacht, dass aus der Pflanzzeit eine Kriegszeit werden sollte … Es war immerhin tröstlich, sich ein paar Stunden lang einer hoffnungsvollen Aufgabe widmen zu können – bei strahlender Sonne und in großer Runde dank der tollen Organisation unsere Pflanzpartners aufBuchen e.V. Mehr als 50 Teilnehmende wurden sachkundig vom Revierförster Peter Cyriax und von den aufBuchen-Ehrenamtlichen in die Arbeit eingewiesen, so dass wir innerhalb weniger Stunden 1800 Rotbuchen setzen konnten.

Eingebunden in die Pflanzaktion war unsere „Lyrikgruppe“, die nebenbei  Waldmitbringsel für die zwei Tage später stattfindende Poesiewerkstatt sammelte. In der Pause hat die Lyrikerin Birgit Kreipe als Kostprobe für die große Runde Waldgedichte vorgetragen und vortragen lassen.

So konnten wir die erworbenen Waldkenntnisse in unsere Schreibwerkstatt fließen lassen, aber ebenso den anderen Teilnehmenden vermitteln, was Dichter und Dichterinnen mit dem Wald zu schaffen haben.

Leider war diese schöne Aktion die vorerst letzte, die wir mit Peter Cyriax durchführen konnten, denn er tritt demnächst in den wohlverdienten Ruhestand. Wegen seiner freundlichen, entspannten Art, seiner tiefen Kenntnis des Waldes und seinen schönen Geschichten ist es immer eine Freude gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir wünschen ihm alles Gute für den Ruhestand (und hoffen insgeheim, dass er sich irgendwann doch mal wieder zu einer Aktion überreden lässt)!

Frühlingsbotschaft: Wald pflanzen, Wald schreiben 12./14.03.22

Die ersten Krokusse und Schneeglöckchen kündigen den Frühling an … und wir die Wiederaufnahme unserer im Dezember verschobenen Werkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“!
Am 12. März werden wir mit Revierförster Peter Cyriax in der Stolper Heide Buchen pflanzen; am 14. März wird das Walderlebnis Stoff für eine Lyrikwerkstatt im Haus für Poesie .
Die Pflanzaktion wird zusammen mit aufBuchen e. V. durchgeführt – wir freuen uns sehr über diese neue Kooperation!
Weitere Infos unter Aktionen/Veranstaltungen.

„Wald pflanzen, Wald schreiben“ leider verschoben

In Erwartung eines erneut warmen Winters hatten wir die diesjährige Pflanzaktion/Werkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ für Mitte Dezember eingeplant. Nun haben wir aber von Revierförster Peter Cyriax erfahren, dass aufgrund angekündigter Schneefälle es wohl nicht möglich sein wird, am kommenden Samstag zu pflanzen. Dass es so kalt wird, ist zwar keine schlechte Nachricht für den Wald- für uns aber schon, denn wir müssen schweren Herzens die schöne Pflanzaktion, das Lagerfeuer und den dazugehörigen Schreibworkshop vorerst absagen – und auf das Frühjahr verschieben.

Es tut uns leid! Wir hoffen auf Euer Verständnis. Und natürlich, dass Ihr auch im Frühjahr dabei sein könnt!

Ein kleiner Trost: Wir werden hoffentlich die Schreibworkshop im Frühjahr live und im Haus für Poesie machen können – und nicht auf Zoom ausweichen müssen.

Wer enttäuscht ist, jetzt nicht pflanzen zu können, oder nicht so lange warten möchte, kann sich hier über zwischenzeitlich stattfindende Pflanzaktionen informieren.

Es ist zwar sehr schade, aber wir freuen uns lieber, dass es wieder einmal richtig wintert, und wünschen fürs Erste eine schöne Adventszeit!

Winterwerkstatt: SelbstVERSuche II, 11./13. Dezember 2021

Wir wagen es – die 2. Auflage der „SelbstVERSuche spezial: Wald pflanzen, Wald schreiben“ im Zusammenarbeit mit dem Haus für Poesie!
Am 11. Dezember werden wir in der Stolper Heide Buchen pflanzen und Lagerfeuer machen. Und am 13. Dezember gibt’s im Berliner Haus für Poesie eine Lyrikwerkstatt für alle, die gern Waldgedichte schreiben oder schreiben möchten.
Wir würden uns sehr freuen, euch am 11. oder am 13. Dezember oder an beiden Tagen zu begrüssen! (Bitte die begrenzte Teilnehmerzahl bei der Werkstatt am 13.  Dezember beachten.)

Weitere Details findet ihr unter Aktionen/Veranstaltungen.

Änderungen sind (leider) vorbehalten und werden rechtzeitig bekannt gegeben.

Eindrücke der letzten Werkstatt und Pflanzaktion (Oktober 2020) findet ihr hier bzw. hier und Kostproben der entstandenen Gedichten findet ihr weiter unten im Blog. Und hier noch ein paar Bilder der schönen Oktoberaktionen …

Wir sammeln Eicheln mit Revierförster Peter Cyriax, 10. Oktober 2020
Lyrikwerkstatt mit Waldfundstücken, 12. Oktober 2020

 

Prunus serotina

Zwiespältige Hommage an die Spätblühende Traubenkirsche, die wir letzte Woche in der Stolper Heide gelichtet haben, um die Artenvielfalt zu fördern:

Prunus serotina

Spät ist es, aber nicht zu spät. Und das Blühende
ist es, das blüht. Früchtetragend, schwarz und
gediegen. Zähl die Lentizellen, da wo das Harz
austritt, wenn du es mit dem Messer ritzt oder
schneidest, oder über die Rinde schabst. Die
Wurzeln sind zäh und breit, fächern sich durch
den Boden, fächern für die Behauptung sich
selbst zu behaupten. Nichts Göttliches ist daran,
nichts Großes, nichts Weises, nur der beißende
Duft nach dem Brechen des Zweigs. Spät ist es,
aber nicht zu spät. Und das Blühende ist es, das
blüht. Ein Dickicht zwischen den Bäumen, das
Früchte trägt, später, schwarz und gediegen, und
das Laub so fremd und so anders ohne Ansatz
die Anderen zu lieben, oder heimisch zu werden.
Schattenreich endet das Keimen der Linden,
schweigen die Samen der Eichen, der Buchen,
kümmert selbst der Holunder, durch den Prunus,
den Späten, die serotina. Spielt Lieder, wenn die
Säge angesetzt wird, wenn die Wurzeln gerodet,
und Licht auf den Boden unserer Bäume fällt.

Hanno Hartwig 17.9.2021

Saisoneröffnung – Feierabendtraubenkirschen, 21.09.21, 16 Uhr

Nach einer viel zu langen Pause, aber gerade rechtzeitig, um das goldene Herbstwetter auszunutzen, melden wir uns endlich mit einer neuen Waldpflegeaktion zurück. Es geht wieder einmal mit dem Revierförster Peter Cyriax in die Stolper Heide unweit des S-Bahnhofs Heiligensee, um die invasive Traubenkirsche aus den Waldbeständen zu entfernen. (Mit etwas Glück sind deren durchaus leckere Früchte reif und können nebenbei vernascht/gesammelt werden …) Wer an diesem Dienstag (den 21.09.21) die Möglichkeit hat, früh Feierabend zu machen, ist herzlich eingeladen, mit uns den voraussichtlich schönen Herbsttag aktiv im Wald ausklingen zu lassen!

Anmeldung erforderlich, weitere Infos hier.

Wie immer freuen wir uns besonders über die Teilnahme von Kulturschaffenden, und ganz besonders, wenn diese sich durch das Walderlebnis zu einem kleinen künstlerischen Blogbeitrag (Photo, Text usw.) inspiriert fühlen!

Neujahrsgruß/Gedichte aus der Waldwerkstatt V: Ulrike

Nach längerer Feiertagspause begrüßen wir das neue Jahr mit einem weiteren Gedicht aus der Werkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ – Winterstimmung und Frühlingssehnsucht.

Farn

Ein abgerissener Zweig,
Verwelkt, verdorrt,
Trockenbraun und brüchig,
Zurückgelassen vom Sommer,
Weggeworfen, verweht,
In vergangener Bewegung verharrend,
Filigran, gefiedert,
Zeigt, wie jedes Jahr,
Die starre Zeit an.

Aus frostkahler Erde,
Mit Pflanzenresten überstreut,
Keimen Erinnerungen
An zartes, helles Grün,
Von unsichtbar verwurzelten,
Verzweigten Trieben hervorgebracht,
Steigt Sehnsucht
Nach Wachsen und Wuchern
Üppiger Farne, waldhoch.

Ulrike, geboren 1952, Buchhändlerin, Psychotherapeutin, 1992 von Westen nach Osten gewandert, lebe am Waldrand, schreibe seit Jahrzehnten Tagebuch, Berichte, Geschichten und Gedichte.

Dieses Gedicht entstand im Rahmen der Werkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ am 12. Oktober 2020 im Haus für Poesie.

 

Gedichte aus der Waldwerkstatt IV: Barbara Wiebking

I

Ein kleiner Eichling
neben blauschwarzer Feder,
er strebt nach dem Licht.

 

II

Bei unserer Lyrikwerkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ brachte die Werkstattleiterin Birgit Kreipe Land- und Forstwirtschaftliche Zeitungen mit, die Bilder und Fachtexte als kreativ zu verfremdende „Gedichtrohstoff“ lieferten – u. a. für folgendes Gedicht.

 

Als ———————–
——– Fux ————–
—————– mit —–
— milchtypisch ——–
—- starker Schulter, —
feminine —————–
—– Haselünne, ——–
—- Reservesiegerin. —

Rolle ——————–
———- Bulle ———
— Wille ——— Chilli

Frisch und straff in der Lende
— Tohuwabohu ——–
————— alte Kühe.

Tolle Vordereuter, ——
harmonische Übergänge,
————- Algenblume,
Powerhouse rotbunt. —

Guillaume ————–
schwärmte von ——–
überwältigenden ——
Embryonenverträgen,
— dänische ————
— abgekalbte ———
— Landwirtin ———
———- erhielt ——–
— Dream —– von —–
Fried ——- helm. —-

Barbara Wiebking stammt aus Niedersachsen, lebt jedoch seit 20 Jahren in Berlin. Sie übersetzt aus dem Englischen, Französischen und Italienischen, liebt Chorgesang und liest gern. Außerdem pflanzt sie immer wieder mal Bäume und mag Waldspaziergänge.

Absage und Aussichten

Es war doch zu schön, um wahr zu sein – die Performancereihe „ONE for ONE“ musste aus aktuellem Anlaß leider umkonzipiert werden, so dass eine Präsentation der Werkstattgedichte in diesem Rahmen nicht mehr sinnvoll wäre. Trotzdem vielen Dank an das ONE-for-ONE-Team für die Mut, ein solches Experiment zu wagen!

Die Vorbereitungen haben immerhin für einen neuen Schub an Gedichten gesorgt, die demnächst hier erscheinen werden.

Darauf können wir uns freuen, sowie auf weitere Pläne und Kooperationen im neuen Jahr, egal, welche Schwierigkeiten noch auf uns zukommen.

Lassen wir uns von den vielen Menschen unterschiedlichster Kreise inspirieren, die mit Ausdauer, starken Nerven und Erfindungsreichtum dafür gesorgt haben, dass 2020 ein kulturelles und soziales Leben weiterhin stattfinden konnte!