Gedichte aus der Waldwerkstatt I: Hanno Hartwig

In lockerer Folge werden hier lyrische Ergebnisse unserer Schreibwerkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ präsentiert. So können sich die Waldgedanken weiter fortpflanzen, selbst wenn der Herbst mit neuen Einschränkungen vor der Tür steht.

(c) Isabel Fargo Cole

Sechs Gedichte von Hanno Hartwig


Zwei Übungsgedichte aus der Schreibwerkstatt:


Anders als gewohnt
(zum Lesen bitte auf den Link klicken!)


Sturm                                                                                                  

Ein Sturm beginnt,
der Äste bricht,
die Kraft im Holz
ist eine Welt für sich.

Was bricht, das fällt,
das schlägt, erschlägt,
lässt los, hält an, geho
rcht nur den Gesetzen.

Baum eins, Baum zwei,
ein Alter mehr als
Hundertjähriger wird
Ausgehebelt, freigestellt.

Legt seine Ohren an,
faltet sich zusammen,
im Wind, im Wind:
Der Sturm

Fällt vom Gebirg
herab, rutscht
durch den Wald auf
Regenschlitten,

Biegt die Bäume,
peitscht die Felsen,
rollt die Steine, bricht
Lawinen:   – SCHIEBT.

 

***


Dezember                                                                                            

Im Wald trägt der Holunder Nebel
wie eine bittere Wahrheit.
Der Tod ist ein anderer
im Wechsel der Jahre.
Kälte und Rauheit
leuchten
im Flackern der Reklamen.

***


Stirbt                                                                                        

Aus dem Scharnier geraten,
gerätst du unter Verdacht.
Du hast den Saum der Säume
zerschnitten, die
Fruchtbarkeit deiner Stunden
abgestellt. Wald du bist deinem
Geruch abhandengekommen,
dem Rauschen von einst
folgt nun das Klirren der Steine.
Der Bogen, der deine Ränder bog,
der Reifegrad des inneren Erlebens.
Es gibt keinen Refrain mehr
von Baum zu Baum. Nur ein
Verstummen der Melodien.

 

Des Waldes Rauschen                                                                      

Ich habe, und das ist noch nicht so lange her,
meine Hand auf das Moos der Bäume gelegt,
habe das Wasser gefühlt, sein Rauschen,
eingetragen in die Linien meiner Hand.

Ich habe, und das ist noch nicht so lange her,
mein Gesicht an die Wärme einer Eiche gelehnt,
habe tröstliches gefunden, sanftes Strömen,
durch das Kambium der Rinde. Manchmal

Schlugen Ameisen den Takt, legten Gärten
sie auf den Blättern an, weideten und riefen zum
Rapport. Sättigte Regen das Moos, gründete
das Myzel der Pilze einen Strom in der Tiefe,

Einen Strom, der um Wurzeln und um
Steine bog, wirbelnd in den Kapillaren der Erde.
Ein Mehr an Blüten fiel. Strophen säten,
Bilder in den Vorhang des Erinnerns. Ich hatte,

Und das ist noch nicht so lange her, den Mittel
punkt des Waldes gefunden, Grün mit lilanen
Spitzen. Denn weiße Segel auf blauem
Grund rauschten damals noch in den Bäumen.

 

Auf der Pfänderkuppe der Blick ins Tal …

Auf der Pfänderkuppe der Blick ins Tal:
Bewegter Wald und die Matrix der Tannen
hob sich ab, liebäugelte mit dem Feuervogel
des Abends. Wolken: dunkle Linien.
Ostwärts begann die Barke der Nacht.
Mit dem Tanz der Stunden zogen die Schatten des
Herbstes südwärts, der Pfeil der Graugänse flog.

 

Kurzbiografie Hanno Hartwig

1957 in Kassel geboren, wohne seit 1963 in Berlin bis heute.
Beruf Landschaftsgärtner, danach Gartenbaustudium
Dann öffentlicher Dienst bis heute. Seit 2003 amtlicher Baumsachverständigen.
Schreibe seit meinem 11. Lebensjahr.
Buchveröffentlichung: Helle Fenster 1. u. 2. Auflage
Nikolaus-Lenau-Lyrikpreis am 26.9.2020
Mitglied in mehreren Literaturvereinen.