Mit „Waldschaffen“ sollen Kulturschaffende vom Schreibtisch in den Wald gelockt werden, um bei Pflanz- und Waldpflegemaßnahmen den „Waldstoff“ ganz konkret anzupacken. Die Resonanz auf die erste geplante Pflanzaktion war überwältigend, Kooperationen mit Kultureinrichtungen haben sich angebahnt … Leider haben wir stattdessen die Erfahrung machen müssen, gnadenloser als zuvor am Schreibtisch gefesselt zu sitzen und nur zuschauen zu können, was draußen in der Welt passiert.
Anfang des Jahres haben wir in Berlin eine Hochkonjunktur der Freiwilligenenergien erlebt. Darauf wollen wir bald wieder aufbauen. In der Hoffnung, dass die Corona-Lage sich nachhaltig stabilisiert, versuchen wir schon für den Sommer, spätestens für den Herbst neue Waldeinsätze in die Wege zu leiten – natürlich unter Berücksichtigung aller empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen. Viele Waldprojekte kann man jetzt schon mit einer Geldspende unterstützen – einige findet Ihr hier aufgelistet.
Und nun ein kleines Corona-Manifest aus meiner Schublade. Ich habe es Ende März geschrieben und liegen gelassen, und inzwischen ist alles tausendmal gesagt worden – aber es ist doch auch schön, wenn viele Menschen gerade in die gleiche Richtung denken.
Ein Nachtrag vorweg: „Die Krise als Chance begreifen“ ist ein beliebter Spruch zurzeit und ich schlage ja in dieselbe Kerbe. Aber wesentlich angenehmer wäre es gewesen, auf die Krisen zu verzichten und vielmehr die „normalen“ Zeiten als Chance zu begreifen.
In diesem Sinne hoffe ich auf die baldige (Wieder)herstellung einer „Normalität“, die wir als Chance nutzen können, um die Krisen in den Griff zu kriegen. Dazu fallen mir die Worte des Chemikers und Dissidenten Robert Havemann ein:
„Der Mensch mit seiner aktiven Tätigkeit ist nicht etwa Spielball phantastischer blinder Zufälle, sondern umgekehrt: von der Zufälligkeit der Ereignisse macht er praktischen Gebrauch, um zu erreichen, was er erstrebt. Gäbe es die Blindheit des Zufalls nicht, wir könnten mit unseren sehenden Augen die Welt nicht verändern. Die Freiheit des Menschen beruht gerade darauf, dass die Zukunft der Welt bestimmt werden kann, weil sie es noch nicht ist.“
(Aus: „Dialektik ohne Dogma. Naturwissenschaft und Weltanschauung.“)
Kleines Corona-Manifest
Die Ausnahmesituation, in der wir uns befinden, birgt sowohl Chancen als auch bittere Ironien, gerade, was das soziale und ökologische Engagement angeht.
Einerseits wird das „Runterfahren“ des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens der Umwelt wohl kurzfristig zu Gute kommen. Andererseits wird schmerzhaft klar, wie sehr es die gesellschaftlichen Strukturen lähmt und wie sehr die Bemühungen um eine nachhaltige Gesellschaft auf ebendiese Strukturen angewiesen sind – ob nun auf den politisch engagierten Verlag, den Umweltverein oder die Kiezkneipe, in der man die wirklich wichtigen Gespräche führt. Oder schlicht und einfach auf das Weiterfließen des Geldes. Dass unser auf explosivem Wachstum beruhende Lebensweise fragil ist, dass wir sie umdenken müssen, wird spätestens jetzt überdeutlich – aber auch, dass es extrem wichtig ist, dabei für Kontinuität und Zusammenhalt zu sorgen und gemeinsam Lösungen auszuhandeln, mit denen alle leben können.
In unserer hochkomplexen Welt hat niemand von uns die alleingültige Perspektive. Um zu überleben, müssen wir endlich über das Lagerdenken hinauskommen, wir müssen Gemeinsamkeiten suchen, müssen lernen, mit unseren menschlichen Schwächen und Widersprüchen und denen unserer Mitmenschen klarzukommen. Unsere Diskurse sind längst viral verseucht von einer hirntötenden Plage: Nullsummen-Denken, künstliche Polarisierungen und Feindbilder, die über gemeinsame Interessen hinwegtäuschen und Handlungsfähigkeit lähmen. Wenn schon social distancing – dann lasst uns doch von unseren Feindbildern Abstand nehmen!
Immer wieder wird behauptet, digitale Werkzeuge könnten uns über diese deprimierende physische Distanzierung hinweghelfen. Es ist gut, dass es diese Werkzeuge gibt und dass Individuen und Institutionen verstärkt mit virtuellen Begegnungsformaten experimentieren. Gerade in Zukunft könnten sie eine wichtige Rolle spielen, z. B. um klimaschädliche Reisen zu reduzieren oder soziale Teilhabe zu erleichtern. Aber unser Heil können wir nicht im Virtuellen suchen, vor allem nicht in den digitalen Räumen der von Großkonzernen beherrschten „sozialen“ Medien, die auf Grund mangelhafter Regulierung unsere Daten missbrauchen und mit manipulativen Algorithmen unsere Diskurse vergiften. Lasst uns die Chance nutzen, um intimere, nichtkommerzielle Formate auszuloten – und uns gleichzeitig für demokratische Kontrollen stark zu machen.
Doch so oder so kann ein virtueller Waldspaziergang nur über die Zeit hinwegtrösten, bis wir wieder in den Wald können. Man kann den Wald nicht im Home Office pflegen, man kann keine digitalen Bäume pflanzen.
So kitschig wie es klingt, lässt diese Krise plötzlich viel klarer erkennen, was für das Leben tatsächlich wichtig ist – welche Arbeiten letzten Endes systemerhaltend und welche physischen und psychischen Bedürfnisse existentiell sind.
Diejenigen, deren berufliche Existenz gefährdet ist, bangen nicht „nur“ um das Geld, sondern oft um den Verlust der Alltagsstrukturen und der sinngebenden Beschäftigung. Für manche stellt die Isolation das Familienleben auf die Probe, sie vermissen ihre Rückzugs- und Freiräume. Diejenigen, die jetzt allein zu Hause sind – oder sich gezwungen sehen, sich ausgerechnet von den Menschen fernzuhalten, um die sie sich nun Sorgen machen –, spüren die Wichtigkeit der selbstverständlichen menschlichen Nähe, die keine Technologie ersetzen kann.
Die vorübergehende Einschränkung unserer Freiheiten mag in dieser Ausnahmesituation gerechtfertigt sein, doch der Schock darüber ist groß – und ebenso gerechtfertigt. Hoffentlich bringt er uns dazu, die Freiheit neu wertzuschätzen.
Noch vor wenigen Monaten wurde in Bezug auf den Umweltschutz eine „Verzichtsdebatte“ geführt, deren Maßstäbe im Nachhinein reichlich abgehoben anmuten. Denn inzwischen sind wir gezwungen, auf Grundlegenderes als Transatlantikflüge oder Steaks zu verzichten. Vielleicht wird es leichter fallen, auf einen gewissen Konsumluxus zu verzichten, wenn wir dafür das Essentielle bewahren, ja sogar für alle gerechter gewährleisten können. (Z. B. Klopapier, Kiezkneipen, Kultur, Kliniken, menschliche Kommunikation, ein lebensfreundliches Klima, und und …)
Ob Corona- oder die Umweltkrise – wir müssen Wege finden, die reale Welt vor der Haustür weiterhin zu bewohnen, wir müssen uns dort wieder zusammenzufinden, ohne einander zu gefährden!