Gedichte aus der Waldwerkstatt II: Marielle Matthee

(c) Mariëlle Matthee

Ich blinzelte eine Sekunde lang mit meinen Augenlidern. Eine Sekunde lang, viel länger als gewöhnlich, und das Sonnenlicht traf meine Pupillen, als ich die Augen öffnete. Ich sah die Bäume zwischen den Wimpernschatten, sah eine Sekunde lang, wie sie sich vor meinen Augen bewegten. Eine Bewegung, die mir nie bewusst war, eine Bewegung, die fast unmerklich war. Ich sah, wie sich das Grünfließen ihrer Kronen zum Boden neigte, und in dem Grünfließen sah ich, was ich für unmöglich hielt: Tränen. In nur einer Sekunde, dem Moment zwischen dem Licht, das in meine Augen eindrang, und dem Verstehen dessen, was ich sah.

I flashed my eyelids for one second. A second long, much longer than usual, and the sunlight hit my pupils when I opened my eyes. I saw the trees between the shadow of my lashes and saw one second long how they moved in front of my eyes. A motion I was never aware of, a motion almost unperceivable. I saw the greenflow of their crowns bow towards the ground and in the greenflow I saw what I thought was impossible: tears. In just a second, the moment between the light entering my eyes and the understanding of what I saw.  

Mariëlle Matthee ist eine niederländische Schriftstellerin und Dichterin mit einem Hauch von internationaler Gerechtigkeit. Sie lebt seit September 2020 in Berlin und sie studiert dort, wo die menschliche Sprache aufhört und die natürliche Sprache anfängt.

Dieses Gedicht entstand im Rahmen der Werkstatt „Wald pflanzen, Wald schreiben“ am 12. Oktober 2020 im Haus für Poesie.