BOSQUE_BOSQUEJO

Mitten in der Frühjahrstristesse: poetische und fotografische Eindrücke aus dem kolumbianischen bosque seco tropical von Waldschaffen-Freundin Rike Bolte …

Der Tropische Trockenwald (bosque seco tropical) findet sich in isolierten und stark gefährdeten Arealen von Mexiko bis Argentinien und in Kolumbien in der Karibik, einschließlich des Südens der Halbinsel  La Guajira, in den trockenen Gegenden des Río Magdalena und im Cauca, wo es nur noch residuale Bestände gibt. Insgesamt sind 8% des Tropischen Trockenwalds erhalten;  in Kolumbien ist er deswegen Gegenstand des staatlichen Aktionsplans zur Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre (PAN). Der bosque seco tropical ist Habitat vieler Pflanzen- und Tierarten, die darin ihren ausschließlichen Lebensraum haben: Ceiba, Zeder, Guayakbaum, Ebenholz,  Cashewbaum; kleinere Katzenarten und Primaten wie der Tití.

„Bosque, bosquejo“ wurde nach einer Exkursion in einen Restbestand dieses Waldes bei Puerto Colombia geschrieben, der zum Gelände der Universidad del Norte gehörte. Wenige Wochen danach fiel der Wald, um einer (angeblich) zukünftigen Solarfarm Platz zu machen.

  

BOSQUE_BOSQUEJO

                                                                      Al bosque, a  mudar entre árboles
                                                                                                               anónima

                                                                     
Tenemos permiso para meternos
al bosque a recoger no planticas
pero perlas de  escombro
rudimentos verdes
verdor o aun verdín y
que alguien repele
los mosquitos incrustados
en tanta mente
a la mañana

*

Irrumpimos, ¿no? en
carriles de aleteo
atisbamos migas
vias aéreas
pocos milímetros de
plumas cromosomas colibrí

Pero miren
por qué no deberíamos querer volar
hacia atrás y aunque en este terreno ocupado
montemos un aula arbórea para alentarnos, 
y quizá tornasolarnos:
haciendo fila ante una guarida
y hasta alguna especie guía

Atemos ojos a troncos sin conocer
los nombres de las ánimas  que
los habitan surcando
anillos

¡Toquemos las alianzas!
¿alburentes?  ¿bravas?
de la madera
de hilo, de raja, de sierra
o preferimos que
¿qué?
¿Que se cuele aire?
                                                    ¿Conocíamos estas palabras?

(¿maderámenes?)
(madera de aire: cuerno de animal)

****

Mejor susurremos: un Siebenschläfer
dejó su taza de té  con el Sombrerero
trastornado  y entre los visillos de las Maravillas
nos mira mirar

¿Alicias?,
believe it or not
también el mercurio en Montklamott
alza el sombrero así
así que agarremos las pinzas para
recolectar la basura y tantos  antiguos aleteos

                                   sí, así

*

Si somos Siebenschläfer?
Sí, si en las sendas vertebradas
el incruste y la crusta costra es nuestra
y nuestro el clavo en la corteza
o si
somos clavo
o capaces 
de clavarnos en
espacio ajeno: 
aun sin metátesis
formaremos costras cristales
para empezar a congelarnos
en el oxímoron de
tener que pedir permiso,
¿sí?, o ¿no?
para 
ser (colibrí, o Siebenschläfer)

pero
quién no quisiera
emigrar en grupos
y en segundos adaptarse al néctar
(o a lo que reemplace la bellota)

Sh,
Silencio,
U
Ojo, que viene
un Sin permiso:
Un coro de gallinas americanas
se alza, avanza y nos va cercando

entonces

No nos quejemos
de lo diminuto –
(porque diminuta solo es la muerte):

tan menuda la maleza
de esta madrugada

sigue:  “Más animales similares”

Rike Bolte, in Spanien und Deutschland aufgewachsen, ist Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Kulturvermittlerin; u.a. Mitbegründerin und Kuratorin des mobilen lateinamerikanischen Poesie­festivals „Latinale“. Sechs Jahre lang hat sie in  der kolumbianischen Karibik lateinamerikanische, spanische und frankophone Literaturen im Kontext der Umweltgeisteswissenschaften sowie Kreatives Schreiben und Übersetzen gelehrt. Aktuell forscht sie zu Poetiken der Kontamination.

Wildäpfel, Schlehen und Gedichte im Grunewald

Am 12. November schlossen wir uns der aufBuchen-Pflanzung im Berliner Grunewald an. Diesmal ging es nicht um Buchen, sondern um Sträuche: Wildäpfel, Schlehen und Pfaffenhütchen sollen den Kronprinzessenweg säumen. Unterstützt vom aufBuchen-Team wies Revierförster Christian Eckert in die Arbeit ein.

Christian kennen wir schon von der Pflanzaktion im Dezember 2022 – denn sein Revier reicht von Grunewald bis nach Gatow, jenseits der Havel. In den Forstbetrieben fehlen nämlich die Ressourcen, Arbeitskräfte sind dünn gesät, Reviere werden zusammengelegt – jeder Förster muss unglaublich viel Arbeit und Verantwortung stemmen. Bewundernswert, wenn engagierte Forstleute wie Christian sich auch noch sonntags die Zeit nehmen, um Ehrenamtliche zu begleiten!

Auch eine Dichterin und ein Dichter waren dabei – Ursula Seeger und Johann Reißer haben mitgepflanzt und uns in der Pause eine Kostprobe ihres in Arbeit befindlichen, gemeinsam erdichteten Zyklus zum Bayrischen Wald gegeben. Belohnt hat sie der Wald hinterher mit den Zutaten für eine Pilzpfanne: Parasol-, Butterpilze und Maronen. Wie wär’s mit einem selbstgemachten Schlehen-Gin dazu?

Wald-Öd

Willkommen im Wald-Öd, grüßt dich ein Pförtner
mit blauer Kappe und rötlichem Bauch. Seinen Ruf
schlucken tiefgrüne Polster und samtige Teppiche,
die anderen Gäste flattern auf und widmen sich wieder
ihren Anwendungen.
Im Foyer wedeln die Federn des Tüpfelfarns Sporen
in die Luft, rhythmisch nicken rote Fingerhüte
mit Hummeln auf den gebleckten Lippen.
Im Naked-Rock-Pool räkeln sich Rädertierchen.
Am Rand des Flurs stehen Stängelbecherchen und naschen
an Eschenblättern, Rauschbeeren werden gereicht.
Ein Gast schlendert vorbei, schnuppert mit bebenden Barthaaren,
beißt in eine saftige Frucht. Schon verformen sich Wald
und Gast, ihm wachsen Pilzfüße, Pilzhaare, Pilzgedanken,
er wankt zum Kissenmoos, löst sich auf in pulsierende Muster.
Der vorbeieilende Kellner greift zu und verschlingt ihn
mit zwei Happen.

Willkommen im Wald-Öd, ruft es aus vielen Kehlen
und Tymbalorganen. Folg’ den Zeichen in leuchtender Luftalgenschrift am Fels, den Kompasslanzen des Lattichs…
Geschnetzelter Wirrkopf, gepresster Moor-Saftling, Salat
von der Bartkoralle – Schlemmen oder Fasten, wonach ist
dir, werter Gast?
Andere vergnügen sich mit Springen zwischen Wurzeln und
Steinen, mit Gleiten von Ast zu Ast über Heidekraut und
Chalets. Ein Segler fällt ins schäumende Wasser, zwei
Bachläufer gleiten herbei, und ziehen den Gast ans Ufer
für das Abendessen.
Dazu einen stärkeren Tropfen! Im Windwurfareal feiern
Zunderschwamm und Stachelbart Gelage beim Zerlegen
des Stammtischs, Hefepilze brauen hinter der Rinde
Hochprozentiges, korallenrot blubbert es sämig den Stamm
hinab.
Kehr ein, werter Gast, wähle die Nische, die zu dir passt.
Willkommen im Wald-Öd!

Ursula Seeger


Gatter-Politik

Aber wie reinkommen in diese Wald-Öd-Zone, in dieses Erlebnis-
Resort? Muss man da schrumpfen oder wachsen, sich mit Geweihen
Antennen schaffen? Muss man in raue Felle schlüpfen, sich die Haut
entgerben, Augen und Ohren mit Moorwasser spülen, sich mit den
Wimpern tastend Myzelien nähern?
Und dann? Allen eigenen Gesichtern entsagen, ihnen fellige Masken
schnitzen, Mücken, Marder, Moose bestechen, gefältelte Flechten am
Kragen tragen, gesprenkelte Federn unter den Achseln? Oder soll man
auf Portfolios von Katzengold und Silberfischen verweisen, auf
langlaufende Totholzbestände?
Und wie dann wie weiter auf der Ameisenhimmelreichstraße,
zwischen Erdfallen und Netzen? Wie die Passage finden zwischen
Pilzwuchsmustern und Schrazelfährten, zwischen Hirschkuhträumen
und Hirschkäferdelirien, unserer wachsenden Abwesenheit folgend?
Was anfangs schwer fällt, unendlich schwer.

Johann Reißer

Der Weg zurück zur U-Bhf. Krumme Lanke

Pflanztage mit aufBuchen e. V. am 12. und 26. November

Der Herbst ist da, die Biber im Briesetal sind fleißig und wir sind es auch – wir freuen uns auf die Pflanzsaison!

Am 12. und 26. November führt unser Projektpartner aufBuchen e. V. Pflanzaktionen in Berlin-Wannsee bzw. Berlin-Buch durch. Waldschaffen wird bei beiden Aktionen dabei sein und in der Arbeitspause für eine kleine Lyriklesung sorgen. Wir freuen uns, wenn möglichst viele aus unserem Netzwerk mitmachen – und ganz besonders, wenn sich jemand dadurch zu einem künstlerischen Beitrag (Wort oder Bild) für unseren Blog inspirieren lässt.

Für die Aktionen müsst Ihr Euch direkt bei aufBuchen e. V. anmelden: für den 12. November (Wannsee) hier und für den 26. November (Buch) hier. Die Arbeit erfolgt in Gruppen. Wenn Ihr mit den anderen Waldschaffen-Teilnehmenden in einer Gruppe sein möchtet, gebt dies bitte im Formular an.

Und wer Lust hat, an einem der beiden Tagen ein Waldgedicht oder z. B. einen kleinen musikalischen Beitrag für die Arbeitspause beizusteuern, möge sich vorab bei Isabel melden: isabel (ät) andere-seite.de. Ich freue mich über Meldungen!

Earth Hour – Gedichte

Endlich können wir die lyrischen Ergebnisse des Workshops „Poets for the Planet“ präsentieren, den Marielle Matthee am 25. März 2023 anlässlich der Earth Hour mit niederländischen Dichter*innen durchführte. Diese Gedichte zu den lichten und dunklen Seiten der Umweltliebe in Zeiten des Klimawandels wurden während der Earth Hour bei Kerzenschein verfasst und von Marielle ins Deutsche übersetzt. Vielen herzlichen Dank an Marielle und die Teilnehmende dieses schönen Projektes!

 

Irgendwo

Angenommen, es gäbe keine Erde
nicht mehr

nur ein paar leere Milchstraßen
entlang derer sich Sterne hochtreiben
Sonnen durstig wandern
und ein Mond
der atonale Lieder summt

wäre es möglich
dass irgendwo
zwei Ohren gierig lauschen
was ist, sein kann
wieder werden kann?

Mary Heylema

 

Ausgraben

statt zu verändern
wollen wir die Wolken weißeln
um das Sonnenlicht zu verdunkeln
wir wringen das Meer aus
blasen Kristalle in den Himmel

statt etwas aufzugeben
wollen wir die Stratosphäre einspritzen
mit Schwefelpartikeln, als ob wir
nicht die Krankheit wären
die Wahnsinnigen
wieder bilden wir uns ein, Götter zu sein

anstatt uns selbst zu betrachten
bügeln wir alle Falten aus
spielen ein katastrophales Scheinspiel
während die Grundschleppnetzfischer
die letzten Reste zusammenkratzen
verdichten sich die Populationen zu Einzelgängern

wie unersättliche Raupen eignen wir uns alles an
kein Bodenschatz bleibt unangetastet
die Schatzkarte zeigt jetzt ein X
wo der Mond die Dunkelheit erhellt
jetzt heißt es abwarten, wie wir
schließlich auftauchen werden

Marloes van der Singel

 

Werden wir gemeinsam …

Werden wir gemeinsam
unsere Ärmel hochkrempeln
die Hände auf die Erde legen und sagen:
Ich weiß nicht wie, aber es wird alles gut werden

oder: wir falten sie zusammen
deine Handfläche gegen meine, bis
unsere Zuneigung wächst,
denn zusammen sind wir mehr oder:

wir heben sie hoch und
bilden einen Protest – bis hierher und nicht weiter!
Schultern gerade, Körper
des Heldentums

oder eher:
wir, Sterbliche mit dem viel zu großen Geschrei,
lasst uns verstummen, aber tanzen, singen
und die Erde demütig lieben
bis wir innerlich warm sind
und mit dem Ganzen verschmelzen.

Fließend und unwissend. Schön und unaufhörlich strebend.
Das wird dies und dies ist ich, und ich ist du, ist wir, ist

die Welt um uns herum.

Esther Verschure

 

 

Waldschaffen bei der Latinale, 4. Juni 2023

Wir nehmen demnächst an der „Latinale“, das Berliner Festival für lateinamerikanische Poesie, teil!  Die diesjährige Ausgabe wird von Waldschaffen-Alumna Rike Bolte kuratiert, und am 4. Juni wird Birgit Kreipe in Berlin eine lyrische Matinée mit Spaziergang mitgestalten:

Sonntag 4. Juni, 11:00 h vormittags
La distancia entre tierra y nube / Die Distanz zwischen Erde und Wolke –
Matinee mit Fernanda Trías und Birgit Kreipe
Moderation: Rike Bolte
Ort: Moos Space. Moosdorfstraße 7-9, 12435 Berlin
Zusammenarbeit: Waldschaffen
Auf Spanisch und Deutsch
Im Anschluss, Spaziergang und Ausklang der Latinale 2023 Berlín:
Zukünftige Koexistenzen: In- und Aufschriften mit Flechten und Eichenzweigen
Mit Fernanda Trías, Eliana Hernández, Ezequiel Zaidenwerg, Birgit Kreipe, Giuliana Kiersz, Roxana Crisólogo, Dina Ananco, Guilherme Gontijo Flores, Sara  Bosoer, María Verónica Machado, Ana María Vallejo (artista visual, animadora); Inti Gallardo (artista visual) und allen, die mitspazieren wollen.

Das diesjährige Festival findet im Zeichen des ökologischen Denkens statt:

Das 2006 in Berlin gegründete Poesiefestival Latinale 2023 startet auf dem Internationalen Kongress ökologischer Geisteswissenschaften an der Universidad Autónoma in Madrid. Die 17. Ausgabe ist daher eine latinale.académica. Das Festival schlägt vor, den Begriff der politischen Aktion angesichts des Anthropozäns neu zu denken und mit Perspektiven wie denen Timothy Mortons zu vernetzen. Für diesen Vertreter der „Dark Ecology“ ist ein Gedicht ein Objekt unter anderen, ja sogar eine Emissionsquelle. Andererseits ist auch der Baum, von dem das Papier stammt, mit dem Gedicht verbunden. Für Morton wie für Donna Haraway oder Tomás Saraceno ist die ökologische Wende, die wir erleben, eine Art Weltuntergang, der sich vorrangig in der Kunst äußerst: als eine Option der Transformation und des Überlebens. Auf (Neo-)Extraktivismus lässt sich in diesem Sinne mit Aktionen kollektiven künstlerischen Recyclings oder mit poetischen und philosophischen Extraktionen antworten. In Lateinamerika findet sich schon lange vor den pop-philosophischen Labels eine ökologische Alchimie, etwa im Werk Eduardo Galeanos. In dessen Gedenken will Latinale 2023 Möglichkeiten einer (anti)anthropozänischen Poesie erkunden, die Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit von Worten auf den Plan rufen und deren Eignung zu nicht toxischer Kontamination mobilisieren. Latinale wird insbesondere die (literalisierte, poetisierte oder schlicht gelebte) Präsenz von Pflanzen in unseren Kulturen feiern und andereseits residuale Raeume oder Industrieruinen des 20. Jahrhunderts ausleuchten. Vom 31.5. bis 4.6. macht die Latinale Station in Berlin.

Kompost IV: An die Komposttiere

(c) Isabel Fargo Cole

An die Komposttiere

Laurence ErmacoVa

Hier,

dort,

drüber,

drunter,

seht!

Kohlköpfe, morsche Rüben, Paprikaschoten,

lebendige Scherben aus Töpfen und Tellern,

éclats de vie crue, Meer aus Resten, Übrigkeiten.

Darf ich Euch das gurgelnde Leben vorstellen? In dickflüssiger Bokashi?

kauend,

zerkauend,

wiederkauend,

sucht!

Wimmelnde Was im Herzen der Verwesung,

spukhafte Wesen, Licht-schreckhaft, weltblind,

kleine rote Sichel am umgekehrten Horizont.

Darf ich Euch die hoffnungsvollen Träger des Erdreichs vorstellen?

Ver,

zehr,

lauscht!

sie spucken morsche Texte aus, aus dem Unalfabet des Gartens,

A grün wie Chlorophyllsträhnen,

I rot, Sonnenzitate aus fernen Tagen,

U bräunlich, unförmig, längst verspeist, zerkaut, zerschmerzt.

Darf ich sie Euch vorstellen?

Bevor sie sich wieder Wörter kauend

im Dickicht der Fabrik verkriechen?

(Aber bitte nicht weinen, hier geht es lediglich um den Prozess),

Bevor sie mitsamt ihren Strophen und Versen verschwinden,

verwaist und verwüstet, aus dem Es-war-einmal-ein-Erdplanet?

(Aber bitte nicht weinen, hier geht es lediglich um Textstoff).

Und,

seht,

schaut her,

da leuchten sie noch!

Kohlköpfe in Bokashi Soße,

fasernackte Rüben, faulender Paprikastoff, flüßige Salatblätter,

all das,

der süße Geruch des Auseinandergehens!

Und

ihr

in Erwartung von neuer Stofflichkeit,

gebt Blätter dazu,

schenkt

von den Rändern, den Straßen, von-der-Hand—in-den-Mund, voll Glauben,

hier

dort

drüben

drunter

steigen Buchwälder aus-den-Münden—in-die-Hände,

voll Glauben,

ergrünen,

erneut,

im Dickicht der Fabrik,

am umgekehrten Horizont.

Laurence ErmacoVa schreibt Poesie auf Französisch und manchmal auch auf Deutsch. Ihre Gedichte wurden in Literaturzeitschriften, u. a. Stadtsprachen, Revue fragile und Manuskripte veröffentlicht. 2021 erhält Sie das Recherchestipendium nichtdeutschsprachiger Literatur des Berliner Senats. Seit 2020 engagiert sie sich im Netzwerk französischsprachiger Autorinnen in Berlin und arbeitet daran, digitale Literatur in einem deutsch-französischen Kontext zu veröffentlichen. Mit der Dichterin Neïtah Janzing gründet sie 2021 das U8 Kollektiv und organisiert poetische Aktionen im öffentlichen Raum. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

 

Kompost II: In der Lyrikwerkstatt

Nachdem wir am 19. März im Waldgarten des Spreeacker e. V. aktiv angepackt und Kompost geschaufelt haben, trafen wir uns am 20. März im Haus für Poesie, um unter der Leitung der Lyrikerin Birgit Kreipe das Erlebnis poetisch zu verarbeiten. Dabei stellten wir fest, dass manche Teilnehmerinnen mit der russischen Dichterin Anna Achmatowa die Einsicht teilen, dass Gedichte selbst oder gerade aus dem Müll (oder eben aus dem Kompost) wachsen können. Und dass auch Birgits „Warm-Up“-Übung an einen Komposthaufen denken läßt: In einem Schnipselhaufen werden alte und neue Gedichte vermengt, einzelne Zeilen werden herausgegriffen und  zu neuen Gedichten verarbeitet.

Wer zu Hause die Werkstatt nachmachen will, kann die Übungen unten nachlesen!

WARM-UP:
Du hast hier Papierstreifen, auf denen Gedichtzeilen stehen. Nimm Dir maximal 12 von den Zeilen und bastele eine Art „Gedicht“ daraus. Probiere verschiedene Konstellationen aus.
Wichtig: Bitte greife einfach in den Haufen, lies möglichst nicht vorher.

Übung A)
Gibt es in Deinem Leben einen Baum, oder Bäume, welche für Dich bedeutsam waren?
Rufe „Die Bäume Deines Lebens“ in Deinem Gedächtnis auf und erkunde, was sie für Dich bedeuten und was sie Dir gegeben haben. Wahrscheinlich kommt eine Menge an angenehmen Baum-Erfahrungen zusammen. Vielleicht möchtest Du Dich mit ein oder zwei Baum-Erfahrungen näher auseinandersetzen. Welche Erinnerungen und Erfahrungen sind damit verbunden? Gibt es auch Begegnungen Ereignisse oder Situationen, in denen der Baum für Dich wichtig war? Achte auf Details, wie Jahreszeit, Farben, Temperatur, Gerüche, oder Szenen…
Vielleicht vermittelt Dir ein Baum auch eine bestimmte Botschaft, wie die Linde in Wilhelm Müllers Lied. Das Gedicht ist ein guter Ort, solche Botschaften zuzulassen und einzufangen.

Übung B)
Baumwurzeln, die statt an andere Baumwurzeln an Wasserrohre stoßen, Kronen, die für die Durchfahrt von Lastwagen beschnitten werden, Bäume im Stress in ausgetrockneten Parks, Bäume, die von Menschen umarmt werden und Zufluchtsort für zahllose Vögel und Insekten bieten – wie wohl ein Stadtbaum aus seiner Perspektive sprechen würde? Lausche einmal, ob Du in Dir einen Baum aufrufen und zum Sprechen bringen kannst.

Übung C)
Was erzählen Früchte wie Nüsse, Tannenzapfen, Sellerie und Äpfel über den Wald, den Garten und die Stadt? Oder über Pestizide und Globalisiserung? Lass Deinen Assoziationen freien Lauf, frei nach Gaston Bachelard: In kleinen Dingen und Gegenständen sind oft große Bilder oder Erinnerungen verborgen. Notiere Deine Assoziationen und forme sie zu einem poetischen Text.

Übung D)
Wie sieht Dein Übergangsort zur Natur aus, gibt es ihn? In der Stadt vielleicht? Im Park, am Waldrand? Begib Dich, wenn Du möchtest, einmal innerlich an den Ort, wo Du der Natur begegnest, und beschreibe, was Du dort erlebst und was Dich berührt, lasse Bilder, Gerüche und Sinneseindrücke in Dein Gedicht oder Deine Notiz einfließen.

 

Kompost I: Im Waldgarten

Am 19. März haben wir etwas Neues ausprobiert – eine Aktion, die nicht raus in den Wald führt, sondern in die Innenstadt, in den „Waldgarten“ des alternativen Wohnprojektes Spreefeld Berlin. Am Spreeufer unweit der Jannowitzbrücke, vor urbaner Kulisse (direkt gegenüber: die S- und Fernbahntrasse und das Klub- und Kulturquartier Holzmarkt 25) liegt der Spreeacker, der sich als „food forest“ oder „essbare Landschaft“ versteht. In einem solchen Waldgarten werden „Gemeinschaften“ aus Nutzbäumen und -sträuchern in urbane Communities integriert. Es geht nicht nur darum, das Stadtleben schöner zu gestalten, sondern in unsicheren Zeiten soll auch ein Beitrag zur autarken Ernährungssicherheit geleistet werden.

Mitgründer Michael La Fond erinnerte gleich bei seiner Einführung daran, dass diese Gegend einst vor den Toren der Stadt lag und aus Ackerland bestand. Auch an die Gründerzeit-Erfindung des Schrebergärtens knüpft der Waldgarten an, allerdings mit einer ganz anderen soziopolitischen Ausrichtung. Die Schrebergärten sollten zwar das Proletariat mit frischer Luft und frischer Ernährung versorgen – allerdings mit Hintergedanken, ging es doch darum, die Arbeiter für ihre langen Fabrikschichten fit zu halten. Dagegen stehen beim Waldgarten die selbstbestimmte Gestaltung des eigenen Lebensentwurfes  und Umfeldes  im Mittelpunkt.

So reiht sich der Waldgarten in eine uralte Symbiose von Stadt und Natur, Mensch und Baum ein. Hier wachsen seltene Arten wie Schwarznuss oder Ölweide, oder alte, robuste Obstsorten, die über die Jahrtausende von Menschenhand gezüchtet worden sind. Sie sind also keine reine Naturwesen, sondern vielmehr enge Begleiter der Menschen, für die wir eine besondere Verantwortung tragen.

Eine der größten Herausforderungen des urban gardening, so Michael, stellt das ausgelaugte oder gar verseuchte Erdreich dar. Den reichhaltigen, komplex strukturierten Boden des Waldes sucht man in der Stadt meist umsonst – dieser muss erst herangeschafft oder aufgebaut werden.

So haben wir unter Michaels Anleitung vor allem am Komposthaufen gearbeitet, der aus den Biomüllresten des Wohnprojektes entsteht; das Endprodukt, den Humus, haben wir weggekarrt und um die Bäume verteilt.

Eine denkbar unpoetische Beschäftigung, könnte man meinen – doch ganz im Geiste der russischen Dichterin Anna Achmatowa, die 1940 schrieb:

Und wüßten Sie, wie ohne jeden Scham
Gedichte wachsen, und aus welchem Müll!
Wie durch das Zaunloch gelber Löwenzahn,
Wie Melde und Dill.

(Deutsch von Rainer Kirsch)

Und ganz im Sinne der amerikanischen Ökophilosophin Donna Haraway, in deren Denken der Kompost oder der Humus eine zentrale Rolle spielt:

Um unruhig zu bleiben, müssen wir uns auf eigensinnige Art verwandt machen. Das meint, dass wir einander in unerwarteten Kollaborationen und Kombinationen, in aktiven Kompostierungen brauchen. Wir werden miteinander oder wir werden gar nicht. …
Die Gemeinschaften der Kompostisten entstanden im frühen 21. Jahrhundert überall auf der Welt, in und auf ruinierten Ländern und Gewässern. Sie gründeten sich in der Selbstverpflichtung, Responsabilität zu befördern und Praktiken der wechselseitigen Befähigung zu kultivieren. …
Terrapolis ist reich an Welt, geimpft gegen den Posthumanismus, aber reich an Kom-Post; geimpft gegen menschlichen Exzeptionalismus, aber reich an Humus, reif für das Erzählen von artenübergreifenden Geschichten. …
Mein Partner Rusten Hogness hat Kompost statt Posthuman(ismus) vorgeschlagen sowie Humusismen statt Humanismen; und ich bin in diesen wurmigen Haufen gesprungen. Das Humane als Humus hat Potenzial, wenn es gelingt, das Humane als Homo zu zerhacken und zu zerschreddern, dieses stagnierende Projekt eines sich selbst erzeugenden und den Planeten zerstörenden Unternehmers. …
Wir sind Kompost, nicht posthuman; wir bewohnen den Humusismus, nicht den Humanismus. Philosophisch wie materiell bin ich Kompostistin nicht Posthumanistin. Kritter – menschliche und nichtmenschliche – werden miteinander, komponieren und dekomponieren einander, in allen Maßstäben und Registern von Zeitlichkeit und Stofflichkeit; in sympoietischen Verwicklungen, in ökologisch-evolutionären-entwicklungsgeschichtlichen irdischen Verweltlichungen und Entweltlichungen.

Donna Haraway, Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, 2018)